Doch mit dem Harndrang kamen auch die Gedanken und Probleme zurück. Das Bedürfnis zu pinkeln nahm ihr die Ruhe und so entschloss sie sich, dass dies das letzte Mal sein sollte, deswegen das Bett zu verlassen. Es dauerte zwei Tage, dann bekam sie weder die Feuchtigkeit noch den Geruch mehr mit. Gar nichts war ihr mehr bewusst. Sie wurde eins mit ihrem Bett, mit ihren Fäkalien, mit der Decke, die sie nach wie vor geistesabwesend anstarrte. Sie nahm nichts mehr wahr. Kein Telefon, keine Haustürklingel, keine Motorengeräusche von der Kreuzung vor ihrem Fenster. So sollte es sein, ihr Leben ohne Grund.
Am vierten Tag wurde sie abgeholt und in ein Krankenhaus gebracht. Jeder hatte sich Sorgen gemacht. Grundlos, würde sie jetzt sagen, wäre sie nicht längst gänzlich weggetreten, dehydriert und ausgehungert, wundgelegen und an ihren eigenen Exkrementen fast erstickt. Sorgen sind das größte Problem. Das waren sie immer, das werden sie immer sein. An ihrem Bett, da saßen nun alle und konnten es nicht verstehen. Jeder hat doch Probleme, jeder macht sich Gedanken, eigentlich ging's ihr doch immer recht gut. Warum will sie denn nicht leben, zum Sterben hat sie doch gar keinen Grund. Was alle ihr sagten, es war nicht so wichtig, ein Kuss auf die Stirn und sie waren wieder weg. Nur eine Frau mit Krebs in der Lunge lag noch schlafend im Bett nebenan. Die wollte leben, so lange es geht. Es ging nur bis zum nächsten Morgen.
Als sie entlassen wurde, holte ihr Freund sie mit dem Auto ab. Er sah sie lange an und lächelte, doch sie sprachen kein Wort. Dann fuhr er los. Sie fuhren eine Weile, dann riss er das Lenkrad rum und fuhr mit viel zu hoher Geschwindigkeit gegen einen Baum. Ohne erkennbaren Grund, stand später im Polizeibericht. Doch kurz vor dem Aufprall, da wurde ihr klar, er wäre ein guter Grund gewesen, an jedem Tag aufzustehen.