Für viele Menschen ist Musik ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens. Manchmal sagen sie das auch nur, um gut anzukommen. Hobbies: Musik hören. Alles klar.
Diese Hobbyisten suchen dann vereinzelt auch die Tonträgerabteilungen diverser Warenhäuser in der Innenstadt auf. Um sich mit vermeintlich Gleichgesinnten zu umgeben, um gesehen zu werden, um sich die neueste heiße Scheibe reinzuziehen, die ein kostenloses Independent-Musik-Blatt mit fünf Sternen ausgezeichnet hat. Vielleicht steht ja beim reinhören jemand daneben, der den selben Artikel gelesen hat, dann kommt man ins Gespräch und heiratet irgendwann, weil man ja soviel gemeinsam hat. Meistens steht aber niemand daneben. Dann hört man sich allein die neueste Filmmusik aus der Feder von Björk an, obwohl man sie nicht mag. Aber 5 Sterne, bestimmt muss man sich erst "reinhören", ziemlich sperriges Zeug, das entfaltet sich erst bei mehrmaligem, konzentriertem Zuhören. Die Fotos im Booklet sind auch irgendwie total nichtssagend und in der Hauptsache scheiße, sieht aber schon nach Kunst aus, irgendwie.
Und immer wieder geistert einunddieselbe Frage durch den frisch frisierten Kopf: "Seh ich mit Kopfhörern eigentlich doof aus?" Kein Spiegel in Sicht und jemanden fragen ist ja auch irgendwie, nein, das kann man nicht machen. Die Stimme ist vielleicht nervig. Und dieser Akzent erst. Egal. Da muss man jetzt durch. Die Prinzen waren eigentlich gar nicht so schlecht, wie die Leute heute sagen. Aber aus dem Alter ist man raus.
Dann plötzlich, tatsächlich, jemand setzt sich die Kopfhörer direkt nebenan auf seinen wunderschönen Schädel. Eine junge Frau. Dann wird rübergeschielt, was mag sie wohl hören...und es ist, nein, tatsächlich, das Fünf-Sterne-Album. Schnell wird auffällig am eigenen Exemplar genästelt, vielleicht merkt sie es ja. Dann, Sichtkontakt, ein Lächeln, schnell erwidern, ein andauernder Blick, dann schaut sie sich das visuelle Hirnflimmern an, welches der CD beiliegt. Grauenvolle Fotos, wirklich. Dann legt sie schließlich die Kopfhörer beiseite und schaut noch einmal lächelnd in Richtung Nachbar. Jetzt spricht sie ihn sicher gleich an, denkt er, hofft er. Ob er den Artikel auch gelesen habe. Welches sein Lieblingsalbum sei. Ob lieber zu ihr oder zu ihm.
Doch sie spricht ihn nicht an.
In der Aufregung glatt vergessen die Kopfhörer abzunehmen. Verdammte Scheiße. Die Björk-CD landet wieder im Regal. Zu Hause angekommen kramt er die alten Prinzen-Kassetten aus einem Schuhkarton und singt sich dabei lauthals den angehäuften Frust von der Seele. Das befreit.
Ein paar Kilometer weiter legt eine junge Frau ihr Fünf-Sterne-Album in ein Regal und sagt sich, sie müsse sich wohl erst noch reinhören. Dann macht sie das Radio an, Sarah Connor, sie singt mit, erst leise, dann immer mutiger und lauter. Vielleicht waren das doch etwas viel, denkt sie bei sich, diese fünf Sterne.