Monday, September 12, 2005

Wie schön das ich geboren bin...

Geburtstag. Ich hab' ja bald. Da erinnert man sich dann gern mal an die gute alte Zeit, wo man mit dem durch eine Saugglocke völlig verformten Schädel den Damm der Mutter einriss, um anschließend in einer Suppe aus unzähligen Sekreten erstmal ordenlich den Kreißsaal zuzubrüllen. Dann wird man abgewischt und Muttern legt einen gepflegten Heulkrampf hin. War ja auch ein stressiger Tag, mit Wehen, tut weh, dann noch 5 kg Fleischmasse aus dem Unterleib pressen, da liegen die Nerven schon mal blank, keine Frage. Dann kommen Sätze, wie "Nen schönen Stammhalter haben Sie da...", "Möchten Sie ihn mal halten?" oder "Wie ist denn der Name des Vaters?"...die Nerven, die Nerven, die Heulerei, kein Ende in Sicht. Im Urlaub gehen die Gefühle halt schon mal mit einem durch. Vielleicht ruft Paolo ja doch noch an. Oder Antonio. Oder Raul.

Nun Schlaf. Dann aufwachen, Baby füttern, das erste Ma(h)l, mit der Brust auch noch. Und wie der Säugling nun fröhlich dran rumzunuckeln beginnt, da kommen sie plötzlich wieder hoch, diese Erinnerungen. An Paolo. An Antonio. Mit Raul, das war was besonderes..

Den ganzen Tag Geschrei. Vielleicht hat er Hunger. Oder Durst. Oder...ja, ganz recht, es ist ausgerechnet "oder", Nasen werden gerümpft, hilflose Blicke getauscht, die Stationsschwester nickt freundlich, geht aus dem Zimmer und kehrt nicht mehr zurück. Da muss man jetzt durch, da hilft alles nichts. Erste Fortschritte werden in Form von erfolgreichem Entkleiden des Jungen gemacht, nun die Windel...ganz vorsichtig, nur mit Fingerspitzen und schwupps, fällt der ganze Schmadder auch schon zu Boden. Ein Gefühl der grenzenlosen Überforderung macht sich, simultan zum flüssigen Stuhl auf dem Krankenhausparkett, breit. Tränen schießen in die Augen, Verzweiflung, Gestank, die Nerven...ein Klopfen an der Tür, herein kommt ein Mann in Begleitung eines Fernsehteams, der ihr ein Videoband überreicht. Es klebt ein Herzaufkleber auf der Plastikhülle, das Windelnwechseln wird zur Nebensache, Tränen werden aus den Augen gewischt, man ist schließlich im Fernsehen. Man geht gemeinsam in das Videozimmer der Station, das Kind wird der wie aus dem Nichts wieder aufgetauchten Stationsschwester in die Hand gedrückt, die mit unsicherem, aber bestimmtem Grinsen ihren ersten Fernsehauftritt sichtlich zu genießen scheint. Schnitt. Großaufnahme auf die Mutter, Small-Talk-Geplänkel, "Alles gut überstanden?", "Wie heißt denn der Kleine", das Übliche halt. Dann wird's investigativ: "Haben Sie einen Verdacht, wer Ihnen diese Videobotschaft zukommen lassen könnte?", Schweigen, dann Tränen. Man hat ja einen Verdacht. Eigentlich sogar drei. Im Hintergrund winkt die Stationsschwester mit dem frisch gewickelten Klops auf dem Arm plus anhaltend debilem Grinsen in die Kamera, während der Moderator mit einem "Nein, keine Ahnung" abgespeist wird. Play. Ein südländisch anmutender, mit Muskeln bepackter Mann erscheint auf dem Bildschirm. Er spricht fließend Spanisch. Die Tränen reißen nicht ab. Ob sie diesen Mann erkannt habe, wird sie gefragt. Die Nerven, die Nerven...die Chancen stehen 1 zu 3...Raul, es muss Raul sein! Plötzlich öffnet sich die Türe und herein tritt, na, richtig, Raul, mit einem Sträußchen feinster Schnittblumen in der Hand. Er freue sich sehr über das gemeinsame Kind, übersetzt der Dolmetscher, der selbst einen starken spanischen Akzent aufweist. Alle lächeln in die Kamera, Tränen der Freude und das grenzdebile Gewinke der Stationsschwester. Schnitt, Aus, Ende.

Schließlich die Hochzeit. Nur standesamtlich. Kirche ist zu teuer. Raul freut sich über seine Aufenthaltsgenehmigung und fängt an mit anderen Frauen zu schlafen. Die Schnittblumen hielten auch nicht länger, als das Eheversprechen. Ist für ihn ja fast wie Urlaub hier, da gehen die Gefühle schon mal mit einem durch. Aber mit Raul, das war schon was besonderes...