Thursday, January 19, 2006

Heimat

Wenn man nach einer gewissen Abwesenheit von zu Hause auf's Land zurückkehrt, dann fallen einem zuerst einmal die ganzen Veränderungen auf. Der Sportladen ist jetzt ein Friseur, es gibt einen zweiten Aldi und einen schönen, neuen Großraumpuff. Die Ampel war vorher auch nicht da. Ach, und die Eisdiele hat zugemacht. Da ist jetzt der neue Puff drin.

Und doch ist dieses Gefühl da, dieses Gefühl der Verbundenheit, der Vertrautheit. An den Baum hat man damals gekotzt, als die Reifenfabrik gebrannt hat, an dem Zaun hing mal ein benütztes Präservativ, auf dem Parkplatz hat Dingens Kirchen einen geblasen und sogar geschluckt. Heimat eben.

Dann läuft der alte Biologie-Lehrer die Straße entlang und sieht genauso aus, wie vor einem halben Jahrzehnt. Sogar wie vor zwei ganzen, wenn man es sich recht überlegt. Man geht in den Minimal, der früher noch anders hieß, trifft auf die selben Wurstthekenfrauen, die über die selben Kuchenrezepte reden, wie seit eh und je. Vorne beim Bäcker steht der selbe vollbärtige Zwerg und trinkt sein Bier, die selbe Uhrzeit, dieselbe Marke, dieselben Salamireste im Bart. Beim Vorbeigehen bemerkt man schließlich, dass er sogar noch genauso nach Urin, Korn und Wurst stinkt. Nur der Hausmeister des Gymnasiums vergewaltigt seine Stieftochter nun nichtmehr. Die ist jetzt ausgezogen. In die Stadt.

Zurück in der Großstadt, Linie S3. Da steht ein Mann, der sich Rum-Verschnitt in seine Cola-Dose schüttet, als er denkt, es schaue niemand. Dann setzt er sich und trinkt gemütlich seinen Softdrink und niemand wundert sich, warum er das Gesicht nach jedem Schluck so verzieht. Niemand redet über ihn, niemand kennt ihn und irgendwie ist niemand anwesend, obwohl der Waggon gut gefüllt ist, jetzt, zum Feierabend hin. Dann steigt man aus, läuft das letzte Stück zu seiner Wohnung und als man diese betritt, da ist man sich plötzlich nicht mehr sicher, ob man jemals zu Hause ankommen wird.