Sunday, December 21, 2008

Junge aus dem Keller

Ich lass' alles stehen und liegen
keine Lust mehr das zu tragen
und die Kraft mich zu verbiegen
reicht kaum noch  aus
ich will nicht klagen
nur noch raus

Halt mir den Rücken frei und sag' nicht
du hättest mich  gewarnt
halt' meinen müden Kopf und trag' mich
in die weite Welt hinaus
ich bin enttarnt
und will nach Haus'

Ich will nicht weggehen und nicht bleiben
ich will die Liebe und das Geld
ich schneid' dir mein Herz in Scheiben
wir spielen Katz' und Maus
was mich hält
hält mich nur aus



Ich bin der Junge aus dem Keller
und ich werd' es immer sein
meine Haut ist noch viel heller
als der grellste Sonnenschein
leg' dein Ohr auf die Fliesen
kannst du mich flüstern hören
ich bin der Junge aus dem Keller
ich wohne bei den Möhren
ich bin der Junge aus dem Keller
und will nur dazu gehören
doch bleib' auf halber Treppe stehen.

Tuesday, December 16, 2008

Der Mann an ihrem Bett

Das erste mal sah ich sie auf dem Grund eines Flusses und wusste genau, dass ich den Rest meines Lebens mit ihr verbringen wollte. Sie sah aus, als ob sie schlief, mit einem Lächeln im Gesicht, das von einem wunderschönen Traum zeugen musste. Vorsichtig löste ich ihren Gurt, aus Angst, sie vielleicht aufzuwecken. Ich zog sie hinauf an die Wasseroberfläche und spürte zum ersten Mal die Strömung und die Kälte. So trieben wir einige Minuten flussabwärts, bis ich es endlich schaffte, uns ans rettende Ufer zu bringen. Der Regen wusch mir das Blut aus dem Gesicht, das ich zuvor gar nicht bemerkte und das mir plötzlich bewusst machte, was überhaupt geschehen war. Ihr sah man es nicht an. Es war wie ein Wunder.
Es dauerte nicht lang, da hörte ich die Sirenen der Rettungskräfte. Ich wusste, alles würde gut werden. Doch sie nahmen sie mir weg und ich schrie und ich flehte, doch sie wollten nicht hören und sie fuhren mit ihr davon. Ich spürte den Einstich der Spritze nicht, die sie mir gaben und wachte erst in einem großen, weißen Raum wieder auf. Mein Körper fühlte sich taub an, in meinen Ohren klangen immer noch die Sirenen und das Rauschen des Flusses, der uns fast verschluckte. Uns.

Die Schwester sah mich irritiert an, versicherte mir aber,  sich erkundigen zu wollen. Alles würde gut werden. Ich solle doch erst einmal gesund werden, hieß es dann. Und ich wurde gesund, so schnell es nur ging. Man dürfe mir keine Auskünfte erteilen, das müsse mit den Angehörigen abgesprochen werden, man werde sich kundig machen. Alles muss seine Richtigkeit haben. Am Tag meiner Entlassung bekam ich endlich die Erlaubnis, sie sehen zu dürfen. Sie schlief immer noch. Man sah ihr nicht an, was passiert war. Jetzt musste sie nur noch aufwachen.
Als ich am nächsten Tag wiederkam, saß ein Mann an ihrem Bett und weinte. Er sah mich mit hasserfüllten Augen an. Ich sollte sehen, was ich angerichtet habe, schrie er mir entgegen. Ich verstand nicht, wer er ist und warum er so aufgebracht war. Ich hatte sie doch gerettet. Sie schlief doch nur. Alles sollte gut werden. Doch das wurde es nicht.
Ich wusste von dem Unfall nicht mehr viel. Man hatte mir die Details nicht erzählt, um meinen Genesungsprozess nicht zu gefährden. Der Mann an ihrem Bett hatte dieses Leben, das ich mir flussabwärts treibend nur vorstellen konnte. Er würde jeden Tag hier sitzen, den Rest seines Lebens. Also ging ich und kam nicht mehr zurück.
Es ist das Rauschen, das geblieben ist, und das Heulen der Sirenen. Die Schuld eines zerstörten Traumes, den ich auf dem Grund eines Flusses zurückließ, um einen eigenen zu träumen. Sie wachte nicht mehr auf.

Saturday, December 06, 2008

Perfektion

Es ist still geworden. Er hat den Tisch gedeckt, für sich allein. Er hat immer gewusst, was ihm fehlen würde, wenn es nicht mehr da ist. Jetzt erst versteht er es. Er begießt den Braten immer wieder mit Fond, viel häufiger als eigentlich notwendig. Er will sicher sein, dass es gelingt. Alles muss perfekt sein. Immer wieder schaut er zur Uhr, ganz ungeduldig, auch wenn es keinen Grund dafür gibt. Er schmeckt den Rotkohl ab, den er viel zu früh aufgesetzt hat. Er konzentriert sich auf das leise Ticken der Uhr, um der Ohnmacht zu entfliehen. Dann gießt er ein letztes mal Fond über den Braten, den er anschließend tranchiert. Es kommt ihm vor, als schneide er sich selbst. Schmerzen kann man nicht erinnern, hat er mal gelesen. Er nimmt eine Keule und legt sie zu dem Rotkohl und den längst abgekühlten Klößen auf einen Teller. Nur noch eine Kerze erleuchtet den Küchentisch, an dem er nun sitzt.

Tick. Tick. Tick.

Je mehr man spricht, je mehr läuft man Gefahr, andere zu verletzen, hat er mal gelesen. Er will niemanden verletzen. Er sieht sich die Narben an seinen Händen an. Auch die neuen. Er will nichts sagen und nichts hören. Alles muss perfekt sein.

Tick. Tick. Tick.

Als die Kerze erlischt, steht er auf, schaltet das Licht ein und schmeißt den Braten zu denen der Vortage in den Müll. Er hat keinen Bissen genommen. Jetzt erst versteht er es. Er wischt das Blut vom Tranchiermesser ab, legt sich auf die kalten Fliesen und hört noch einige Zeit dem Ticken zu, bevor er einschläft. Es war wieder einmal ein perfekter Abend.

Tick. Tick. Tick.