Ich schaue nicht auf seine Waffe, sondern nur in sein Gesicht, das durch die Netzstrumpfhose aussieht wie ein Gemälde von Dalí. Er will nur Geld, doch ich verneine seine Forderungen und hoffe, er drückt endlich ab. Ein vor Angstschweiß triefender Arbeitskollege fasst sich schließlich ein Herz und drückt mich zur Seite, will das regeln, will dem Mann das Geld geben und endlich Ruhe. "Du bist ein Held, Harald!", rufe ich ihm zu. Der Räuber entkommt mit knapp zehntausend Euro, alle liegen noch auf dem Teppich der Sparkasse und heulen. Ich stehe und heule auch. Den Rest des Tages haben wir dann frei.
Die anderen gehen zu ihren Familien, ich lieber ins Museum. Dort setze ich mich auf einen Stuhl und schaue zwei Stunden eine leere Wand an. Ich frage mich, ob es nicht bedenklich ist, dass mein Herz bei einer leeren Wand schneller schlägt als bei einer gezogenen Handfeuerwaffe. Dann ist es mir egal und ich gehe nach Hause.
Ich packe mein eigentlich für die Arbeit gedachtes Brot aus, beiße einmal ab und schmeiße es weg. Im Fernsehen erzählen sie von dem Überfall. Da ist auch Harald. Harald der Held. So wird er gezeigt. Seine Schweißflecken stechen nicht ins Auge, sondern die nur wenigen trockenen Stellen. Er sieht aus wie ein bruzelndes Schwein. Schweine-Mann. Was für ein Held.
Später ruft meine Schwester an und fragt, ob ich in der Sparkasse arbeiten würde, die gerade im Fernsehen ist. Ich sage nein. Es gibt ja so viele Sparkassen. Sie fragt nach unserer Mutter, ob sie schon wieder aus dem Krankenhaus raus sei, ich antworte, sie sei leider verstorben. Dann fängt sie an zu heulen und ich sag ihr, es war nur ein Scherz. Sie ist noch zu verheult, um mich anzubrüllen und legt den Hörer auf die Gabel. Oder drückt den Knopf mit rotem Telefonsymbol. Ich habe noch ein altes Telefon von zu Hause mitgenommen, als ich auszog. Meine Schwester kaufte schon immer lieber alles neu.
Das Telefon klingelt anschließend noch einige Male. Die Polizei bittet mich am nächsten Vormittag ins Revier zu kommen, um auszusagen. Irgendeine Frau bietet mir psychologischen Beistand an. Das sei ein Standardverfahren bei Überfallopfern, versichert sie mir. Ich lehne dankend ab. Meine Mutter ist schließlich die letzte Anruferin. Sie schreit mich an, wie ich solch üble Scherze mit meiner Schwester treiben könne. Ich reiße das Kabel aus der Buchse und mache mich fertig fürs Bett.
Ich brauche kein Baldrian, ich brauche einen Hammer. Denn ohne Schmerzen kann ich nicht mehr einschlafen. Ich schaue Nachrichten über Anschläge, Abstürze, Vergewaltigung und hungrige Kinder. Die hatten auch keinen guten Tag. Es sieht fast so aus, als hätte die ganze Welt sogar einen richtig beschissenen Tag gehabt. Bevor die Beiträge mit den niedlichen Tierbabies kommen, schlafe ich ein.
Am nächsten Morgen gehe ich zur Arbeit. Der Chef will, "dass möglichst schnell wieder der Alltag Normalität wird". Während er diesen unglaublich dämlichen Satz spricht, höre ich zum ersten Mal, wie traurig und verbittert selbst mein inneres Lachen mittlerweile klingt. Ich kann nicht weiter darüber nachdenken, da der Chef mich direkt danach zu einem Vieraugengespräch in sein Büro bittet. Mein Verhalten bei dem Überfall entsprach nicht den vorgegebenen Normen. Ich habe so Kunden und Personal in unnötige Gefahr gebracht. Er werde nicht umhin kommen, personalrechtliche Schritte zu prüfen. Ich bedanke mich für das Gespräch mit einem zertretenen Flachbildmonitor und verlasse die Sparkasse in Richtung Polizeirevier.
"Er sah aus wie ein Gemälde von Dalí", antworte ich auf die Frage nach dem Erscheinungsbild des Täters. Natürlich weiß keiner etwas mit dieser Beschreibung anzufangen. Ich beschreibe stattdessen mich selbst und warte gespannt, wann sie es merken. Doch sie merken es nicht.
Der Chef fragt mich, was ich noch hier wolle, als ich wieder zurück an meinen Arbeitsplatz will. Da frage ich mich das plötzlich auch. In meiner Jackentasche forme ich meine Hand wie eine Pistole, ganz wie in schlechten Krimikomödien und weiß selbst nicht, was ich mir dabei denke. Ich will Geld. Und ich will ein Strumpfband. Nach dem zerstörten Monitor traut man mir also wirklich zu hier alle umlegen zu können. Eine Auszubildende opfert sich freiwillig und überlässt mir ihre getragene Strumpfhose. Es macht mir nichts aus, dass es die dickere der beiden Auszubildenden ist. Früher hätte es das. Der Chef persönlich schaufelt bereits eine Tüte mit Geld voll, doch ich bestehe darauf, dass Harald das übernimmt. Schweine-Harald. Dieses Mal erkenne ich nicht eine einzige trockene Stelle an seinem Hemd.
Ich verlasse die Sparkasse mit zwei Tüten voll Geld und gehe ruhigen Schrittes die Straße entlang. Erst nach einigen Metern bemerke ich, dass die komplette Straße bereits abgesperrt und gesichert ist - ich bin sicher, es war der Schweine-Mann, der den Alarmknopf drückte. Ich solle mich nicht mehr bewegen und die Waffe auf den Boden schmeißen. Ich lache und gehe immer weiter, bis der erste Schuss fällt.
Sie stehen um mich rum und glotzen mich doof an, als hätten sie mich noch nie in ihrem Leben gesehen. Zwei haben bei mir ein Konto eröffnet, zwei andere nahmen meine Zeugenaussage auf. Nun liege ich da vor den Idioten, gänzlich unbewaffnet und nur am Bein getroffen. Erst jetzt setze ich die Strumpfhose auf, da die zweite Hand nun nicht mehr so bedrohlich wirken muss. Und für einen Augenblick, da erinnert sich einer. An Dalí. An die Beständigkeit des Erinnerns. Alles fließt, alles zerrint. Und was immer so hart schien ist plötzlich ganz weich.
Am nächsten Tag wird man den Fernseher wieder nicht einschalten können, ohne davon zu hören, wie Schweine-Mann ein weiteres Mal die Welt rettete. Ich hatte dann wieder keinen guten Tag. Und schon übermorgen wird die ganze Welt den Schweine-Mann vergessen haben. Spätestens, wenn die Tierbabies kommen. Was für ein Held.