Tuesday, December 12, 2006

Salz & Pfeffer

All seine Beatmungsversuche schlugen fehl. Sie war längst tot, als er sie aus dem Wasser zog und er brach schließlich über ihrem leblosen Körper zusammen, das Salz ihrer blauen Lippen an seinen, der Schmerz so groß wie das Meer selbst.
Und der salzige Geschmack, er war alles, was ihm blieb. Wenn er wieder an sie dachte, war er so präsent, so real, es war, als sei er wieder am selben Strand und die Feuchtigkeit seiner Lippen schien hoch in seine Augen zu steigen. Dies änderte sich auch nicht, als er sie traf. Vieles andere änderte sich, doch wann immer seine Lippen ihre berührten, war er da, dieser salzige Geschmack, die Erinnerung, der Schmerz, die Feuchtigkeit, die in seine Augen stieg, alles.
Doch sie blieb bei ihm. Und sie gab nicht auf. Sie küsste ihn lange, hoffte, dass es irgendwann aufhören möge, doch es hörte nicht auf, der salzige Geschmack, die Erinnerung, der Schmerz, die tränenden Augen.
Und als alles verloren schien, da küsste sie ihn noch einmal und plötzlich war alles anders. Kein Salzgeschmack, der die Erinnerung hervorrief, keine Erinnerung, die den Schmerz auslöste, kein Schmerz, der die Feuchtigkeit in die Augen trieb. Und sie fragte sich, wieso sie nicht früher darauf gekommen war. Sie nahm einfach etwas Pfeffer und verteilte diesen auf ihren Lippen.
Nach einer gewissen Zeit war sie es leid, dass jeder Kuss nach Pfeffer schmeckte. Nachdem sie sich küssten, rannte sie weinend davon und verschwand aus seinem Leben so rasch, wie sie aufgetaucht war. Und er verstand es nicht. Er konnte es nicht verstehen. Er wusste nicht, dass sie den Pfeffer bei diesem letzten Kuss weggelassen hatte. Er wusste nicht, warum sie nach diesem letzten Kuss unter Tränen davonlief, wo er doch nicht mehr weinte. Und er sollte niemals erfahren, dass sie bei diesem letzten Kuss das Salz schmeckte, das er glaubte, niemals wieder von seinen Lippen spülen zu können.

Friday, December 01, 2006

Die Sekretärin

Und Sie sind Frau...?
- Traurigkeit.
Wie bitte?
- Traurigkeit. Mein Name ist Traurigkeit.
Das ist aber mal ein ungewöhnlicher Name. Den habe ich vorher noch nie gehört.
- Der ist jiddisch. Kaufmann, Goldhals, Traurigkeit, gar nicht so ungewöhnlich. Viele heißen so. Viele Juden.
Ah ja. Gut. Sie sind also hier, um sich für die freie Stelle zu bewerben, richtig?
- Ja, richtig.
Nun, Ihre Qualifikationen sind ja wirklich ausgezeichnet, Frau...Traurigkeit. Sie haben bisher hauptsächlich halbtags gearbeitet, erwähnten Sie am Telefon, ja?
- Genau. Wegen der Kinder.
Ach, Kinder haben Sie auch? Wie viele sind es denn?
- Es sind zwei. Sieben und elf Jahre alt.
Ihnen ist aber schon bewusst, dass es sich bei der freien Stelle um einen Vollzeitarbeitsplatz handelt, oder?
- Natürlich. Das ist in Ordnung.
Kümmert sich Ihr Mann um die Kinder? Oder haben Sie eine Tagesmutter angedacht?
- Ich habe keinen Mann. Eine Tagesmutter wäre mir zu teuer.
Aber wo bleiben denn dann Ihre Kinder, wenn Sie hier sind?
- Ach die, die habe ich weggeben.
Wie meinen?
- Die Kinder. Ich habe sie weggeben.
Weggeben?! Aber wohin denn nur??
- Na, an ein Kinderheim. Ich habe denen gesagt, dass ich nicht mehr die Mutter dieser Kinder sein möchte. Und sie haben es verstanden, nachdem ich es ihnen erklärte.
Aber was um alles in der Welt haben Sie denen denn gesagt? Was treibt Sie denn nur dazu, einfach Ihre Kinder ins Heim zu stecken? Es ist ja wohl nicht nur aufgrund der Aussicht auf einen besseren Job, nehme ich an?
- Nein, nein, ganz und gar nicht...
Ja, aber warum um Himmels Willen denn dann?
- Sie sollten einfach keine Kinder von Traurigkeit mehr sein.