Wednesday, June 15, 2011

Das joghurtfarbene Aus

Ich habe gerne hier gelebt. Es war wie ein zweites Zuhause, manchmal sogar wie das einzige. Nun bin ich ausgezogen. Nicht, weil ich es mir nicht mehr leisten könne hier zu wohnen. Oder weil es mir hier nicht mehr gefiele. Nein, das ist es nicht. Dieses Haus ist mir zu groß geworden. All die Menschen, die hier mit mir lebten, sie sind längst gegangen. Nach Querfeldein und Karrierehausen oder einfach nur weg. Die letzten Monate saß ich hier allein, spielte ein paar Töne auf dem Klavier im Foyer und lauschte wie der Hall des leerstehenden Raumes sie bis in die Unendlichkeit hinauszögerte. Alles klingt anders, wenn niemand mehr zuhört. Alles klingt schief und dumpf. Ich musste hier raus.

Ich lasse zurück, was immer schon hier war. Alles bleibt an seinem Fleck. Jedes Möbelstück, jedes Bild an der Wand, ja selbst die Töne, die ich einst spielte, sie verhallen nicht. Ich hülle mein altes Heim in Frischhaltefolie und mein Herz in Schweigen, damit beides nicht vergeht. Und vielleicht kehre ich nach einigen Jahren hierher zurück, um nach dem Rechten zu schauen. Um ein letztes Mal dem Menschen zu begegnen, der ich einmal war und der ich doch nie sein wollte.

Bis dahin wohne ich nun hier: http://einzimmerwohnung.tumblr.com/
Ich freue mich über jeden Besuch, auch wenn das mit dem Übernachten nun schwieriger geworden ist.

Für den Fall, dass jemand hier in der Zwischenzeit ein Dach über dem Kopf sucht, lasse ich den Schlüssel stecken. Sollte ich etwas von Wert zurückgelassen haben, darf dies gerne mitgenommen werden.

Auf Wiederse...ach, ich wollte doch noch ein letztes Mal auf die Schaukel! Nie gesehen, dass es hier ‘ne Schaukel gibt, was?

Thursday, February 24, 2011

Put to sleep

I will go out tonight
I will swim in a clear lake
there is a time for everyone
this time is mine

I will put myself to sleep
like a wounded dog

there is no ground beneath my feet
there is no ground beneath my feet

I will put myself to sleep
like a wounded dog
and I will feel no pain tonight
I am sleeping in the dark

I'm only sleeping, Mum
I'm only sleeping, Dad
I'm only sleeping, Sister
I'm only sleeping

Saturday, January 22, 2011

Samuel

Das Herz habe ich immer auf der Zunge getragen, bis es völlig ausgelutscht war. Ich bin nicht stumm geworden, aber stiller. Ich versuche alles an mir vorbeiziehen zu lassen, doch es geht nicht weg. Das Letzte, was ich jetzt will, es gehört mir und es schleppt sich mit mir gemeinsam durch den Tag. Ich habe Samuel im Kopf, fühle mich gelähmt und Schuld daran. Mit zitternden Händen versuche ich zu retten, was nicht zu retten ist. Mit dem Kopf durch die Wand und stecken geblieben. Darauf wartend, dass jemand kommt und mir so fest in den Hintern tritt, dass ich endlich durchfalle. Es ist ein schöner Bogen, aber auch mit ihm werde ich es vergeigen. Es bedeutet mir nichts. Was auch immer mir mal die Welt bedeutete, hat keinen Platz mehr in meiner bedeutungslosen Welt. Könnte ich heulen, würde ich wenigstens etwas Flüssigkeit produzieren. Tränen und Rotz. Doch ich kann gar nichts mehr. Auch keinen zweiten Absatz schreiben.

Saturday, December 11, 2010

PuzzleZeit

Heute bin ich gefallen und in alle Einzelteile zersprungen. Tausende kleine Stücke ich. Alles, was zusammen gehörte, liegt verteilt auf dem Boden herum. Es ist PuzzleZeit.

Als alter Hase fängt man mit den Randstücken an. Das Belanglose suchen, die leblosen Vororte der vergangenen Tage. Verblasste Gesichter von Freunden, die keine Freunde mehr sind. Ich kriege sie nicht mehr zusammen. Die Schule, die Arbeit, die viele Zeit allein, allein die Zeit ist nur ein tiefes Schwarz, das überall und nirgends passt. Der Umriss liegt lose, die Eckstücke und -pfeiler bleiben völlig unvernetzt.

Ich probiere es mit der Mitte, einzwei Gesichter bekomme ich hin. Ihr Lächeln überdeckt kurz ein Leben ohne Sinn. All die Schmerzen die heute keine Schmerzen mehr sind, liegen einzeln auf dem Boden und fragen: was nun? Nach all diesen Jahren tun sie kurz noch einmal weh, bevor sie mich zum Abschied sanft umarmen.

Ich nehme ein Teil aus der Mitte und kaue darauf rum, bis ich es schlucken kann. Gewissheit der Ungewissheit durchströmt all das, was von mir jetzt noch übrig ist. Etwas fehlt. Und es wird allerhöchstens in verdauter Form noch einmal kurz das Licht der Welt durch den Tunnel meines Enddarmes erblicken. Aus dem Arsch, aus dem Sinn.

Die restlichen Teile schmeiße ich weg. Nichts passt mehr zusammen. Nichts gehört mehr zu mir. Früher brauchte ich viel Phantasie für Depressionen, heute fliegen sie mir zu. Immerhin eine Sache, die einfacher geworden ist.

Sunday, November 14, 2010

Chinesen

Ein warmer Kakao tröstet nur, bei Laktosetoletanz. Ich habe vier davon getrunken, da käme manch ein Chinese mit dem Erbrechen gar nicht nach. Die leere Milch, der leere Kopf, die leere Leere leert das Leben, lehrt das Leben mich doch nur, dass die Spannung in den Gliedern der erste Schritt zur Totenstarre ist. Ich muss entspannen.

Mein Pflaster geht ab, wie 'ne Rakete schießt das Blut, aus meiner Wunde klafft eine weitere, doch meinem Pflichtgefühl geht's gut. So gehe ich auf die Straße und trampel' auf ihr rum, die Nerven liegen blank, ich ziehe ihnen etwas an und sage dann: die Jogginghose steht euch gut.

Ich fühle mich dem nicht gewachsen, die Aufgaben wachsen an mir. Irgendwann ziehen sie aus und rufen nur noch selten an. Zu Hause isst das Herz allein, ein Fertiggericht mit Innereien, das essen Chinesen, doch von Milch tun sie speien. Nur ein leerer Karton Milch. Drei Löffel Pulver. Ich tu' Wasser hinein. Es schmeckt scheiße.

Ich kann alles, nur kein Chinese sein.

Friday, September 10, 2010

Man in the mirror

Ich geh' nicht mehr hin. Ich war da, sie holte meine Akte raus und das war ich dann. Ich saß vor ihr und sie schaute kaum hoch, sie las mich lieber durch. Da stand ja alles.

Ich rufe wo an, ich sage eine Nummer, sie wissen Bescheid. Nur eine Nummer und da steht alles, was von mir übrig ist. Da steht nicht, wie ich bei meinem allerersten Fußballspiel geweint habe, weil meine Mitspieler mich für das Gegentor lautstark kritisierten. Da steht nicht, wie ich vor der Wohnung meines Vaters stand, gebetet habe, dass er doch da sein möge und danach nie wieder etwas mit Gott zu tun haben wollte. Da steht auch nichts davon, wie ich stolz in der Badewanne saß und mir mit einem Einwegrasierer den weichen Flaum von der Oberlippe kratzte. So etwas steht da nicht. Das alles zählt jetzt nicht mehr. Ich bekomme schließlich auch an der Fleischereitheke kein Würstchen mehr auf die Faust.

Die Kinder im Bus erinnern mich an nichts. Als sei ich nie Kind gewesen. Als hätte ich nie zum allerersten Mal auf dem Fußballplatz gestanden, oder gebetet oder mich rasiert. Was mich prägt ist nicht länger die Vergangenheit, es ist ein Stempel auf einem Formular. Ob etwas wirklich passiert ist, darüber geben nur noch beglaubigte Urkunden und Bescheinigungen Auskunft. Meine Erinnerung verrinnt, doch Papier ist geduldig. Papier kann es sich leisten, ungeachtet dieser schnelllebigen Zeit.

In einer Castingshow singt einer "Man in the mirror" von Michael Jackson, mehr schlecht als recht. Nach dem Urteil reißt er sich seine Nummer von der Brust, seine Eltern sind trotzdem stolz und schimpfen auf die vermeintliche Inkompetenz der Jury. Der junge Mann hatte nie eine Chance, auch nur ansatzweise an die Leistung seines großen Idols anzuknüpfen. Jackson war schließlich nur so gut, weil er keine Kindheit hatte.

An der Bushaltestelle hat einer mit der Sprühdose "Es gibt kein richtiges Leben im falschen" an die Wand geschmiert und wurde erwischt. Er wird in den Streifenwagen geführt und leistet keinen Widerstand. Die einzige Person, die er von der Wache später anrufen wird, ist seine Mutter. Für die Polizei ist er nach seiner Abholung nur noch eine abzuheftende Akte, doch für seine Mutter bleibt er immer das Kind, das sie tröstend in den Arm nahm, nachdem ihm seine Mitspieler beim allerersten Fußballspiel so heftig beschimpften.

Saturday, July 17, 2010

Unter den Wellen

An Tagen wie diesem weiß ich nichts mit mir anzufangen. Ich sitze auf der Terrasse und starre aufs Meer hinaus. Es ist Sturm angesagt. Ein paar Surfern macht das nichts aus. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein.
Du kommst vorbei und erzählst von deinem Leben. Es fängt an zu regnen und die Wellen peitschen. Du möchtest lieber rein gehen. Ich will den Surfern zusehen.
An Tagen wie diesem sehe ich das Meer in dir. Immer in Bewegung spülst du stets aufs Neue deine Entdeckungen an den Strand. Vom Sturm getrieben türmst du dich auf und verschluckst alles und jeden, der dir zu Nahe kommt. Du hast so viel Leben in dir, so viel Unentdecktes, so viel Vergessenes und Verlorenes, zwei Drittel meiner Welt sind von dir bedeckt.
An Tagen wie diesem ist alles in Unruhe, nur du bist ganz ruhig. Ich drehe mich um und sehe dich durch die Türe auf dem Sofa eingeschlafen liegen. Ein Buch auf dem Bauch, ein träumendes Lächeln im Gesicht, während ein paar Meter weiter die Welt unterzugehen scheint. Diese Welle war zuviel, wird man morgen einen der Surfer über seinen Kollegen sagen hören, den das Meer unerbittlich in seine tiefsten Abgründe gezogen hat. Zur Beruhigung werde ich ihm sagen, dass es still ist. Auch unter den monströsesten Wellen ist es immer irgendwo still, irgendwo, wo sein Surferfreund nun ist.
An Tagen wie diesem bin ich voller Sorge. Ich gehe rein und schließe die Tür, decke dich vorsichtig zu und lausche dem Pfeifen des Windes durch die undichten Fensterisolierungen. Irgendwann wachst du auf und stahlst mich an, als glitzerte die Morgensonne auf deiner rauen und berstenden Oberfläche. Dann wird es still in mir drin. Dann bin ich unter den Wellen. Meine Welle zuviel, mein schönstes Ertrinken. Bis ich schließlich nach Luft schnappend wieder an die Oberfläche fliehe.