Saturday, July 17, 2010

Unter den Wellen

An Tagen wie diesem weiß ich nichts mit mir anzufangen. Ich sitze auf der Terrasse und starre aufs Meer hinaus. Es ist Sturm angesagt. Ein paar Surfern macht das nichts aus. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein.
Du kommst vorbei und erzählst von deinem Leben. Es fängt an zu regnen und die Wellen peitschen. Du möchtest lieber rein gehen. Ich will den Surfern zusehen.
An Tagen wie diesem sehe ich das Meer in dir. Immer in Bewegung spülst du stets aufs Neue deine Entdeckungen an den Strand. Vom Sturm getrieben türmst du dich auf und verschluckst alles und jeden, der dir zu Nahe kommt. Du hast so viel Leben in dir, so viel Unentdecktes, so viel Vergessenes und Verlorenes, zwei Drittel meiner Welt sind von dir bedeckt.
An Tagen wie diesem ist alles in Unruhe, nur du bist ganz ruhig. Ich drehe mich um und sehe dich durch die Türe auf dem Sofa eingeschlafen liegen. Ein Buch auf dem Bauch, ein träumendes Lächeln im Gesicht, während ein paar Meter weiter die Welt unterzugehen scheint. Diese Welle war zuviel, wird man morgen einen der Surfer über seinen Kollegen sagen hören, den das Meer unerbittlich in seine tiefsten Abgründe gezogen hat. Zur Beruhigung werde ich ihm sagen, dass es still ist. Auch unter den monströsesten Wellen ist es immer irgendwo still, irgendwo, wo sein Surferfreund nun ist.
An Tagen wie diesem bin ich voller Sorge. Ich gehe rein und schließe die Tür, decke dich vorsichtig zu und lausche dem Pfeifen des Windes durch die undichten Fensterisolierungen. Irgendwann wachst du auf und stahlst mich an, als glitzerte die Morgensonne auf deiner rauen und berstenden Oberfläche. Dann wird es still in mir drin. Dann bin ich unter den Wellen. Meine Welle zuviel, mein schönstes Ertrinken. Bis ich schließlich nach Luft schnappend wieder an die Oberfläche fliehe.

Monday, July 12, 2010

Lachs

Die Zeit rast an uns vorbei
bremst ab und bleibt stehen
du steigst zu ihr ein
um nach dem Rechten zu sehen
Die Welt dreht sich weg
und schließlich wieder um
so viel ist zu tun
wer nichts macht bleibt dumm
ein Lachs schwimmt flussaufwärts
in den Köcher hinein
wie gern würde ich
dein Lachsbrötchen sein

Doch wo du eben noch warst
steht der Wind jetzt ganz still
und er flüstert ganz leise
dass ich das morgen noch will
Wo du eben noch saßt
ist ein Stuhl ohne Leben
der nur darauf wartet
seine Beine zu geben
für ein Glück ohne Namen
für eine Angel ohne Haken
für einen Bach ohne Strömung
für ein Flussbett ohne Laken
Doch wo du eben noch lagst
ist ein Loch in der Decke
in das ich falle und manchmal
dunkle Gedanken verstecke
Wo du eben noch standest
da ist ein Fleck an der Wand
der war mal dein Schatten
in meinem Schuh ist noch Sand

Saturday, July 03, 2010

Frau Niemand

Dieses Gebäude hat keinen Notausgang. Es ist ein Neubau und sollte eigentlich einen haben. Hat es nicht. Wie kann ein so neues Haus keinen Notausgang haben, frage ich ins Nichts. Und nichts antwortet. Und niemand. Niemand wohnt in diesem Haus, außer mir, neben mir. Wenn ich meine Türe öffne, dann sehe ich von Zeit zu Zeit ihren schemenhaften Umriss in den Flur entweichen. Frau Niemand ist scheu. Frau Niemand versteckt sich vor mir, redet nicht gern, auch nicht über meine Petition für einen Notausgang. Die soll der Hausmeister bekommen. Bisher habe nur ich unterschrieben. Sonst wohnt hier ja Niemand, ihre Meinung dazu kenne ich nicht. Ich hoffe, sie ist auf meiner Seite.

Ich warte noch ein paar Tage, doch ich erreiche Niemand nicht. Ich stehe stundenlang vor meiner Tür und sehe durch den Spion. Sie muss doch mal raus. Etwas einkaufen. Zur Arbeit. Oder hat sie keine Arbeit. Doch, Niemand hat Arbeit. Vielleicht arbeitet sie von zu Hause aus. Ich reiche die Petition ein, nur mit meiner Unterschrift.

Es gibt doch keine Not, sagt er, der Hausmeister, es gibt doch keine Notwendigkeit für einen Notausgang ohne Not. Aber wenn es brennt, es kann doch brennen, es kann doch immer mal brennen. Das sieht er nicht kommen, der Hausmeister, das kann er nicht kommen sehen. Irgendwann brennt es hier und dann kommt Niemand lebend raus, sage ich ihm. Da lächelt er mich an, der Hausmeister. Er werde sehen, was sich machen lässt.